Zwanzigster Todestag Michel Foucaults

25.6.2004

 

 

 

 

Christian Kupke

Das Dilemma der Vernunft. Foucaults Kant–Lektüre und ihre Folgen für die Vernunftkritik

Der vorliegende Text umreißt, ausgehend von Foucaults Bestimmung von Kritik, die Möglichkeiten und Grenzen einerseits der Selbstkritik und andererseits der Binarismuskritik und geht dabei gewissermaßen von zwei Seiten an die Frage nach dem Dilemma der Vernunft heran: von einer mehr materialen, geschichtlichen, man könnte auch sagen geschichtsphilosophischen und von einer mehr formalen, systematischen, man könnte auch sagen diskurstheoretischen Seite.

Der Text untersucht zunächst, wie Kritik – von Foucault als „Kunst“ definiert, „nicht dermaßen regiert zu werden“ – als Aufgabe begriffen werden kann, sich nicht von den Zwängen eines negativen und in diesem Sinne legitimierenden Selbstbezugs beherrschen zu lassen. In den ersten Abschnitten des Essays wird gezeigt, wie dieser Zwang des kritischen Selbstbezugs, der den kritizistischen Kritikbegriff definiert, Kant dazu veranlasst hat, in seiner Geschichtsphilosophie das konkrete geschichtliche Ereignis der Revolution als ein Vernunftgeschehen zu leugnen und so die Vernunft in die Ohnmacht ihrer eigenen Identität einzuschließen (eine Ohnmacht, die Lyotard als den Wahn der kritizistischen Vernunft bestimmt).

Die diskurstheoretische Untersuchung im Fortgang des Essays deckt dann auf, dass sich diese Ohnmacht einem gewissen – anders verstandenen – "performativen Widerspruch" verdankt: dem Widerspruch gegen den Widerspruch, in dem sich der Widerspruch, wie wohl als erster Hegel erkannte, aufs Ganze gesehen verewigt und als die eigentlich treibende Kraft aller diskursiven Bewegung erweist. Die Ohnmacht der Identität der Vernunft macht sich daher in der Geschichte der Vernunft zugleich auch als Macht ihres kritischen Widerspruches gegen den Widerspruch geltend (eine Macht, die Foucault als die Raserei der kritizistischen Vernunft bestimmt).

Eine kritische Analyse dieser Kritik ist, wie die weiteren Überlegungen zeigen, nur dann möglich, wenn kritisierende und kritisierte Kritik nicht miteinander identisch sind, sondern sich in ihren Ermöglichungsbedingungen historisch und strukturell voneinander unterscheiden. Foucault legt mit seiner Theorie des historischen Apriori das ganze Gewicht seiner Argumentation auf den historischen Unterschied: Die Kritik des historischen Apriori einer Kritik ist nur möglich, wenn die kritisierende Kritik bereits einem anderen historischen Apriori untersteht als die kritisierte. Die historisch-aufklärerische Kritik, wie sie Foucault favorisiert, kann und muss also nicht als Selbstkritik verstanden werden und entgeht insofern den Zwängen des kritizistischen Kritikbegriffs.

Allerdings ist damit der strukturelle Unterschied zwischen kritisierender und kritisierter Kritik noch nicht erwiesen, denn Identität und Widerspruch sind akzeptable, "vernünftige" Bestimmungen nur auf der Basis einer binären Begriffsstruktur, – einer Struktur, die offenbar noch immer unser historisches Apriori trägt. Denn das Theorem des historischen Apriori selbst geht im Foucaultschen Text aus einer binären Konstruktion hervor: Foucault entwickelt es aus der Antinomie von schicksalhaftem Apriori und freier Historie. Wollte man daher Kritik als „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“, auch als Aufgabe begreifen, sich nicht von den Zwängen eines binären Denkens beherrschen zu lassen, müsste man mit Foucault noch einen Schritt über Foucault hinausgehen. Es bleibt aber offen, ob eine solche transzendierende Binarismuskritik nicht ihrerseits wieder in immanente Selbstkritik münden müsste, sich also Foucaults grundsätzliche erkenntnistheoretische Skepsis am Ende doch noch bestätigen könnte.

 

 

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22.07.2005